13. Juni 2016 Arbeitswelt, Interview, Beutlhauser-Gruppe

Anstand durch Abstand

Dr. Reinhard K. Sprenger, geboren 1953 in Essen, hat in Bochum Geschichte, Philosophie, Psychologie, Betriebswirtschaft und Sport studiert. Als Deutschlands profiliertester Managementberater und einer der wichtigsten Vordenker der Wirtschaft berät Reinhard K. Sprenger alle wichtigen Dax-100-Unternehmen. Seine Bücher wurden allesamt zu Bestsellern, sind in viele Sprachen übersetzt und haben eine gewaltige Wirkung entfaltet, indem sie die Wirklichkeit in den Unternehmen in fast 25 Jahren von Grund auf und dauerhaft verändert haben. Auch die Beutlhauser-Gruppe arbeitet mit dem renommierten Berater zusammen. Im Interview mit Beutlhauser äußert er sich über mangelnde Zurückhaltung von Unternehmen und was wir gewinnen, wenn wir vieles im Management einfach nicht mehr tun.

Beutlhauser: Herr Sprenger, Sie haben Ihr neues Buch „Das anständige Unternehmen“ genannt. Sie schlagen darin vor, dass Führungskräfte vieles nicht mehr tun, auf der Stelle sein lassen. Was zum Beispiel?

Reinhard K. Sprenger: Im Management kommt ja immer etwas hinzu. Kaum jemand sagt mal „Das machen wir nicht mehr“. Das wäre aber klug. Denn die

wahre Ökonomie ist das Lassen, die knappe und auf das Wesentliche konzentrierte Haushaltsführung. Führungskräfte sollten also den ganzen Führungsfirlefanz der letzten Jahre vergessen und sich auf die Kernaufgaben konzentrieren. Also alles lassen, was Kundenablenkungsenergie erzeugt, was Mitarbeiter einer Erniedrigungsbürokratie unterwirft. Wer will,

dass die Mitarbeiter kreativer sind, muss den Rechtfertigungsdruck zurückfahren. Wer unternehmerisch handelnde Mitarbeiter will, der nimmt alles weg, was sie zu Untergebenen macht. Wer Leistungsträger will, lässt alles weg, was sie auf Zuträger reduziert. Wer Führende will, unterlässt alles, was sie zu bloß Ausführenden macht.

Beutlhauser: Sie beklagen einen mangelnden Anstand in den Unternehmen. Was heißt das und woran hapert es denn am meisten?

Reinhard K. Sprenger: Man versteht das moderne Unternehmen in moralphilosophischer Hinsicht nur, wenn man seine institutionelle Zudringlichkeit begreift. Mehr Nähe! – das ist die Botschaft, die das ganze Unternehmen durchdringt. Etwas, was zunächst fast sympathisch klingt, und erst beim zweiten Hinschauen seine Sprengkraft verrät. Im Prozess des modernen Organisierens sind jedenfalls mehr Freiräume verschüttet worden, als sich mit dem Menschen als Freiheitswesen vereinbaren lässt. Aber Bewegung braucht Raum. Wir sollten also alles entrümpeln, was Menschen infantilisiert, verschülert, fürsorglich belagert und psychischen Dichtestress erzeugt.

Beutlhauser: Warum sind Unternehmen überhaupt so „fürsorglich“? Was ist die Idee, das Ziel dahinter?

Reinhard K. Sprenger: Kapitalinteressen. Was nichts Schlechtes ist, ganz im Gegenteil. Das Perfide daran ist, dass sie sich nicht als solche zu erkennen geben, sondern sich menschenfreundlich schminken. Weshalb den Entmündigten ihre Entmündigung oft gar nicht auffällt. Ich bin mir aber sicher, dass es sich weder um sittlichen noch um ökonomischen Fortschritt handelt, wenn wir die selbsthelferischen, die unternehmerischen Kräfte der Mitarbeiter einem faulen Humanisierungszauber opfern. Das anständige Unternehmen, so wie ich es verstehe, verachtet nicht die Eigenverantwortung seiner Mitarbeiter. Es produziert keine Konformisten mit passiver Nehmer-Haltung. Das bewegte Wirtschaftsleben verlangt allemal, dass wir durchlüften und unser Denken in jede Richtung neu erproben.

Beutlhauser: Warum werden Mitarbeitern so wenig Freiund Spielräume zugestanden? Welche Sorge haben Unternehmen?

Reinhard K. Sprenger: Das ist eine interessante Frage, die letztlich nicht zu beantworten ist. Manche Unternehmen machen nur alles mit, was gerade auf dem aufsteigenden Ast der Worthülsenkonjunktur ist. Zum Beispiel die Gesundheitsförderung oder die Frauenquote. Andere beugen sich staatlichem Druck und der explodierenden Verrechtlichung aller Lebensverhältnisse. Andere haben ein Top-Management mit geringem Selbstvertrauen und entsprechender Kontrollneigung. Andere wiederum übersehen, das wachsende kulturelle Unterschiede zunehmende Verregelung erfordert, weil immer weniger selbstverständlich ist. Und wieder andere folgen einer Arroganz der Selbstermächtigung; sie wollen alles und jeden perfektionieren. Aber die Mittel wenden sich zunehmend gegen die Ziele. Wir sind dabei, unsere Freiheit einem Perfektionstraum zu opfern, aus dem wir vielleicht nicht mehr erwachen. Dieser Verdämmerung müssen wir wieder Sperrzonen entgegenrichten.

Beutlhauser: Was bringt umgekehrt Zurückhaltung und Distanz? Und wie bewerkstellige ich das als anständiges Unternehmen?

Reinhard K. Sprenger: Es bringt mehr unternehmerische Energie, mehr Eigenverantwortung. Weniger Anpassertum. Vor allem aber weniger Transaktionskosten, weniger Bürokratie. Das Unternehmen wird schneller und kundenorientierter. Und in moralphilosophischer Hinsicht trage ich so zu einer Welt bei, in der ich selber gerne leben möchte. Einer Welt des Respekts, die das Anderssein des Andern achtet. Wie macht man das? In großen Unternehmen durch Nicht-mehr-Tun. Durch Aufhören mit allem, was Energie innen bindet und was Mitarbeitern zu nahe tritt. Zum Beispiel Zielvorgaben oder Feedbackrunden. In kleinen Unternehmen indes haben sich oft noch Reste des gesunden Menschenverstandes gerettet. Hier ist man gut beraten, die organisatorische Verschlafenheit als Wettbewerbsvorteil zu werten. Enthaltung als Haltung. Nicht-Tun ist allemal besser, als die Verregelungsexzesse der Konzerne zu imitieren.

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